Träume sind nicht die Realität, natürlich nicht. Doch ohne Träume würde die Welt anders aussehen. Weil jeder Gedanke zu einer Handlung führen kann und jede neue Handlung eine neue Wirklichkeit erschafft. Kleine Schritte entfalten so mitunter eine große Wirkung. Oder, wie es Monocular ausdrücken: "Tiny is the new tall / Close your eyes and see it all".
Die meisten Stücke des zweiten Albums "Pine Trees" entstanden in Süd-Schweden, in einem 20-Häuser-Dorf zwischen Lund und Ystad. Auch die "Wallander"-Krimis von Henning Mankell spielen in dieser ländlichen Gegend, wo das Licht kristallklar vom Himmel fällt und die Luft immer ein wenig nach Salz schmeckt.
Es ist ein Entkommen aus dem Grauschleier von Dortmund, wo die Ruinen des Industrie-Zeitalters müde vor sich hin bröckeln. Der Traum von einem besseren, freieren Leben kollidiert dort zwangsläufig mit der Realität. In der ländlichen Atmosphäre von Süd-Schweden dagegen schreibt das Paar Songs, deren Melodiebögen zwischen Electro-Einflüssen und potentiellen Pop-Hits pendeln.
Wenn die Stücke zusammen mit Bassist David Senf und Schlagzeuger Sven Kosakowski arrangiert sind, entfalten sie allerdings auch eine überwältigende, rockende Pracht: Es ist ein Balancieren zwischen sehr leisen Passagen, wo jedes Detail zählt, und einem dramatischen, Gitarren getriebenen Wall of Sound. Kritiker nennen das Shoegaze und entdecken eine Nähe zu Bands wie Blonde Redhead. Doch das ist ein wenig ungerecht, denn Monocular sind einzigartig und klingen nur nach sich selbst.
"Es gibt nicht viele singende Frauen in Deutschland, deren Stimmen mich so killen wie Nic Korays. Und es gibt noch weit weniger, denen ich das seltene Talent zuspreche, Lieder zu formulieren, die so universell und zugleich aufs Intimste persönlich sind" schwärmte der Singer-/Songwriter Tom Liwa vor einiger Zeit völlig zu recht.
Doch es ist nicht nur diese außergewöhnliche Stimme, die Monocular besonders macht. Es sind auch Jans exquisite Kompositionen und das raffinierte Zusammenspiel der Band. Die Singleauskopplung "This is Real" wird von einem komplexen Breakbeat getrieben, umtänzelt von einer zarten Akustik-Gitarre und unterkühlten elektronischen Sounds. Wie eine entspannte Tai-Chi-Wolke schwebt der Gesang über den nervösen Rhythmen. Hektik und Ruhe heben einander auf - die perfekte Balance. Das dazugehörige Video kombiniert Bilder von Naturkatastrophen mit einer surrealen Endzeitstimmung - wollen wir wirklich weiter warten, so lange, bis alles zu spät ist?
Zwischen Schweden und Dortmund ist dem Quartett mit "Pine Trees" ein Album gelungen, wie man es nicht alle Tage hört: Sinnlich, kraftvoll und klug. Und wieder einmal ist ein Traum wahr geworden.