Kein Song ist zu lang. Kein Sound ist zu oft gehört. Keine Zeile ist zu vorhersehbar. (Auch die zitierten Zeilen nicht.) Kein Grund, im Eiltempo die Tracks auf der Suche nach etwas Brauchbarem routiniert durchzuskippen. Kitty Solaris hat ihr viertes Album „We Stop The Dance“ vorgelegt: 38 Minuten und 30 Sekunden ohne Längen.
Kitty Solaris ist Labelchefin (von Solaris Empire), Veranstalterin einer erfolgreichen Konzertreihe (im Berliner Club Schoko-Laden Mitte) und last but not least gut vernetzte Musikerin, die sowohl solo als auch mit Band spielt und aufnimmt. Deshalb taucht sie gelegentlich in den Medien als Eine-Frau-Musterbetrieb der kulturellen Selbstausbeutung auf.
Nach drei Alben, die überwiegend in der Tradition weiblicher Singer/Songwriter mit Begleitband standen, holt sie nun zum großen Schlag aus. Ihr viertes Album „We Stop The Dance“ ist purer Pop, in allen Facetten, die 2013 denkbar sind. Ob Dancetrack, Anleihen beim Spacerock der 70er, beim Grunge der 90er oder existenzialistische Pianoballade: Das alles funktioniert auf dem Album so fugenlos und stimmig, wie es nur einer der Erfahrung abgerungenen Souveränität möglich ist.
Kitty ist scheinbar unauffällig im Verlauf von ein paar Jahren (und ein paar Alben) von einer interessanten Künstlerin mit Potential zu einer Künstlerin geworden, die – wie selten ist das! – ihr Potential ausgefüllt und erweitert hat. Selten: Gerade in der deutschen Popmusik, die chronisch unter ihren Möglichkeiten bleibt und in der fast jeder Hoffnungsträger nach einer Weile kaum mehr ein Achselzucken wert ist.
Der Unterschied bei Kitty liegt auch in dem, was sie nicht macht. Keine Spur findet sich bei ihr von einer nischenkulturellen Lethargie oder von um sich selbst kreisenden Weltschmerz. Kitty ist nüchtern und trotzdem spielerisch; schon in früheren Stücken wie „Cooler“ und „Get Used To It“ brachte sie die selbsterhöhende Fundamentalopposition einer sich von allen Bezügen abkapselnden Checker/Hipster/Incrowd-Nebenwelt genauso auf den Boden zurück wie die Motivationshymnen derjenigen, die immer alles in Ordnung und richtig und wichtig finden, egal was auch passiert.
Ausgerechnet in ihrem bisher tanzlastigsten Stück „We Stop The Dance“ verkündet sie das Ende des Tanzes – und tanzt natürlich trotzdem und erst recht. Und statt das ewig trübe Winterberlin oder das ewig sommerliche Partyberlin zum x-ten Mal zu bemühen, singt sie mit melancholischer Energie den „Hot Town Blues“.
Doch nicht nur durch Haltung und Songwriting, auch durch Arrangement und Produktion entstehen die klaren musikalischen Konturen. Querflöte, Pedal Steel Guitar, Saxophon: Das klingt auf dem Album „We Stop The Dance“ nicht nach Musikschule und die unterlegten Beats klingen nicht nach den notorischen Hobbyraum-Heimcomputerproduktionen, die den deutschen Pop im internationalen Vergleich so arm aussehen lassen.
Das liegt natürlich nicht zuletzt an den Kooperationen, durch die das Album erst entstanden ist: Maßgeblich an der Produktion beteiligt war Steffen Schlosser (Schlagzeug, Gitarre, Backingvocals). Aufgenommen wurde, wie schon das letzte Album „Golden Future Paris“, im Echoplex Studio von Nikola Jeremic (außerdem verantwortlich für Beats und Keyboards). Die Postproduktion kommt von Brio Taliaferro (der schon für Tracks von Empire Of The Sun und den Sugarbabes verantwortlich gewesen ist). Das instrumentale und gesangliche Spektrum haben diverse, zum Teil internationale, Gäste erweitert: Bertrand Flamain spielt Bass, Elyas Khan Gitarre, die Pedal Steel Guitar hat der Hamburger Olli Samland beigesteuert, Meike Eimers vom Adriano Celentano Gebäck Orchester spielt Querflöte, der Australier Dan Freeman Saxophon – zusätzliche Backingvocals kommen von Brandon Miller (Sarsaparilla) und den kanadischen The Rooftop Runners.
Und so heult dann die Pedal Steel Guitar durch „Take It Easy“, während ausgerechnet eine Querflöte dem Titeltrack „We Stop The Dance“ und einer weiteren Dance-Nummer, „17“, die Hookline liefert.
Für solche kleinen Einfälle, die aus zwei, drei, maximal vier verschiedenen Tönen große Momente machen, ist Popmusik erfunden worden. Auf Kittys Album finden sich diese Einfälle, in jedem Song. Nichts wirkt an den Haaren herbeigezogen – selbst das Zitieren der One-Hit-Wonder von EMF („Take It Easy“) oder der ferner denn je liegenden Smashing Pumpkins („Hell“) nicht - und doch ist nichts vorhersehbar.
An manchen Stellen von „We Stop The Dance“ kommt in Kitty Solaris doch noch die Diva durch; die Diva, die - Besucher ihrer Konzerte wissen das - auch mal launisch sein kann. Aber an Kumpelrockern gibt es hierzulande keinen Mangel; an der Fähigkeit, die Beiläufigkeiten des Alltags, in diesem Fall den Warnhinweis auf einer Zigarettenschachtel, in das ganz große Drama zu verwandeln, das nun mal tatsächlich in unser aller Existenz steckt, dagegen durchaus („Cigarettes Kill You“).
Kittys Label Solaris Empire ist natürlich trotz gelungenem neuen Album von Kittys musikalischem Projekt Kitty Solaris ein fragiles Reich. Fragil, weil es sich in einem Geschäft bewegt, in dem kaum etwas zu holen ist. Fragil auch, das soll nicht verschwiegen werden, weil Kitty Solaris manchmal Gefahr läuft, das Erreichte selbst wieder einzureißen. Aber auf Kittys Album „We Stop The Dance“, über die Länge von elf auf den Punkt gebrachten Popsongs, strahlt Solaris Empire in voller Pracht und Blüte.
(Text: Utz Held)